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Die Fresken an der Kirche in Lichtenhain
Von Martha Bergemann-Könitzer (*04.01.1874
+02.10.1955), Jena
Altes und Neues aus der Heimat
Beilage zum "Jenaer Volksblatt"
Sonderabdruck, enthaltend Jahrgang 1910, 1911, 1912
Verlag von Bernhard Vopelius in Jena 1914
Dieser Text wurde vom Original abgeschrieben, dabei können Fehler entstanden
sein. Wer diese entdeckt, möge mich bitte darauf aufmerksam machen (Impressum).
Außerdem kenne ich mich mit der biblischen Geschichte gar nicht aus, bitte
helfen Sie mir bei der Deutung des Tabelleninhaltes. Weiterhin suche ich alte Fotografien der Fresken, wo sie möglicherweise
noch besser zu erkennen sind als heute.
Jeder Mensch, auch der sich nicht dafür interessierende, weiß vom Lichtenhainer
Bier, aber wie wenige wissen von den Lichtenhainer Fresken. Meine Zeilen wollen
ein wenig das Interesse wecken helfen, oder wo es besteht, auffrischen;
schließlich entsteht eine Tat, diese Zeugen einer so frühen Kunst vor gänzlichem
Verfall zu schützen. Die Fresken sind schlecht erhalten, aber je mehr sich der
Betrachter in die Reste vertieft, desto köstlicher, lebendiger werden sie. Der
Maler muß ein sehr guter Künstler seiner Zeit gewesen sein. Man vermutet dem
Stoff nach, den sie behandeln, daß es ein Klosterbruder aus einem der Klöster
Jenas war, die zur Entstehungszeit der Fresken Anfang 1300 dort existierten.
Adrian Beier, der Jenaer Topograph, berichtet in seinem 1674 erschienenen Buche
von einer ganzen Anzahl wertvoller Wandgemälde in Jena, zwar mit Entrüstung über
"den abscheulichen Götzendienst des Pabsttums", sie "abgöttisch und
Gotteslästerliche" Gemälde nennend. Aber der bedauerliche Verlust all dieser
frühesten Kunstwerke durch Abbruch der Kapellen und Häuser oder auch durch
Verkauf von Bibliotheken an Buchbinder, die das mit Miniaturen bedeckte
Pergament zu Einbänden verarbeiteten, läßt das Wenige, das noch vorhanden ist,
doppelt schätzen.
Zuerst zur Orientierung: Die kleine Kirche St. Nicolai in Lichtenhain (20 Min.
von Jena zum Herzogtum Meiningen gehörend) entstand mit ihrem westlichen Teil,
Turm und Eingang zur Zeit der romanischen Bauweise, die bis zur Mitte des 12.
Jahrhunderts hinabreicht. Der östliche Teil, von dem vermauerten romanischen
Fenster auf der Südseite an, zeigt gotische Fenster und ist später, höchstens
aber in der Hälfte des 14. Jahrhunderts, entstanden.
1860 gab Professor Klopffleisch in Jena ein Buch heraus, um das Interesse an der
Kirche und ihren Malereien zu wecken, aber trotz seiner mühevollen Arbeit
scheint ihm das, dem derzeitigen Zustand nach, nicht gelungen zu sein. Die von
ihm erwähnte starke Umfassungsmauer an der Süd- und Ostseite des vom Friedhof
umgebenen Kirchleins hat einem Holzzaun weichen müssen, dessen Mangelhaftigkeit
den vom Dorfteich hereinspazierenden Enten äußerst bequem ist und den sehr
verwahrlosten Zustand des Friedhofs, bis auf die zerbrochenen Grabsteine,
erklärlich macht. Auch die nördliche Umfassungsmauer ist schon teilweise
verschwunden. An der Nordwand der Kirche zwischen 2 Pfeilern befinden sich die
Fresken unter einem Schutzdach; Glasfenster und Tür trennen sie von draußen.
Aber die Tür ist stets unverschlossen, der Raum ein Ablagerungsplatz für faules
Holz, Röhren, Sand, wackelige Bänke. Beim Anstreichen des Schutzdaches von innen
sind große Flecken und Tropfen hellblauer Farbe auf die Bilder herunter
gefallen. Verschiedene in die Gesichter ganz fein eingezeichnete Schnurrbärte
bezeugen die Anregung, die die Fresken den Schulkindern boten, die von der
Schule aus den Friedhof durchquerten. Von der unteren Freskenreihe der noch 1860
teilweise erkennbaren Christusgeschichte sind, wohl dank dank der daran
lehnenden Holzscheite, nur noch Spuren vorhanden.
Prof. Klopffleisch nimmt an, daß dieser mit Bildern geschmückte kapellenartige
Raum dazu benutzt wurde, die Jugend in der "biblischen Geschichte" zu
unterrichten. Von diesem Punkte ausgehend wäre es leicht, in den Schulkindern
Achtung und Ehrfurcht vor diesen frühen Kunstwerken zu erwecken. Und wie muß die
Nähe etwas so wundervoll Echten einen Geschichtslehrer beglücken, der an der
Auffassung, der Darstellungsweise, den Architekturen, Kleidungen und
Gerätschaften auf den Fresken den Kindern die Minnesängerzeit lebendig machen
kann. Denn das Fehlen rein gotischer Architektur, Kleidung und Geräte beweist,
daß die Fresken in der Übergangszeit der romanischen Stilperiode zur Gotik
entstanden sind, also Ende 1200 bis Anfang 1300. An der Hand von Klopffleischs
Buch will ich die Art und den Inhalt der Fresken für die Leser durchgehen, denen
das scheinbar seltene Buch nicht zugänglich ist. Es liegt mir nichts daran, der
gewiß schon damals mühevollen Deutung der Fresken kritisch gegenüber zu treten,
da mir die Erweckung einer allgemeinen kulturgeschichtlichen und ästhetischen
Würdigung zuerst höher steht.
Klopffleisch schreibt, daß die 3 Wände des kapellenartigen Raumes, der durch den
Anbau zweier Pfeileran der Nordseite der Kirche gebildet wurde, durchaus bemalt
war und zwar dergestalt, daß die Längswand wagrecht in 6 Reihen, diese 6 Reihen
senkrecht in 13 Reihen geteilt wurden, sodaß 78 rechteckige Felder, die etwas
höher als breit sind, entstanden. Die beiden schmäleren Seitenwände waren ganz
analog eingeteilt, so daß auf jede derselben 20 Felder kamen. Für uns sind die
Bilder der Pfeilerwände leider bis auf ganz geringe, nur mit Mühe erkenntliche
Spuren verschwunden. Von den an der Kirchwand vorhanden gewesenen 6 Reihen ist
die unterste 6. Reihe nicht mehr vorhanden, doch ist an der Hand von
Klopffleischs Zeichnung an der Stelle des 9. Bildes noch ein Teil des entblößten
Christuskörpers in der schrägen Lage der Kreuzaufrichtung nach wiederholtem
Suchen zu entdecken, ebenso im nächsten Bild Spuren des gekreuzigten Christus.
In der 5. Reihe fehlt schon Vieles, was Klopffleisch als gut erkennbar erwähnt.
Gerade die in dieser Reihe dargestellte Geschichte der Maria enthält so viel
rührend Menschliches, daß die Zerstörung wirklich sehr zu bedauern ist.
Durch die von Klopffleisch 1860 erwähnten als besterhaltenen Köpfe von Adam (I.
Reihe, 7. Bild) und Isaak (III. Reihe, 8. Bild) sowie das reizvolle Bild vom
Tanz ums goldene Kalb (IV. Reihe, 8. Bild) geht jetzt ein breiter
rußgeschwärzter Riß. Gerade dies letzt erwähnte Bild fällt dem Beschauer der
Fresken durch seine Lieblichkeit auf. Ein Herr in Schnabelschuhen, die Dame in
ausgeschnittenen, enggeschnürten Schleppgewande scheinen zusammen den Reigen des
"Singtanzes" zu eröffnen. Die fast leichtsinnig kecke Bewegung der Dame ist mit
einem Tanzrhythmus gezeichnet, der, wie bei jedem echten Kunstwerke, in den
Beschauer übergeht. Besonders schön sind die Bilder von Abrahams Tod (IV. Reihe,
3. Bild), Rebekka am Brunnen (IV. Reihe, 1. Bild), Rebekka, die von Elieser
begleitet von der segnenden Mutter fortreitet (IV. Reihe, 2. Bild), ebenso das
Bild "die Juden, dem roten Meer entronnen" (IV. Reihe, 5. Bild) und noch manches
andere. Wie gut gezeichnet sind in der ersten Reihe die Körper von Adam und Eva.
Der Körper Adams eckiger, muskulöser, der Evas mit sichern weichen Umrißlinien.
Von der Farbigkeit der Fresken sind noch geringe Reste vorhanden, deren
ehemalige Schönheit wir z. B. am Gewand des Engels (II. Reihe, 3. Bild) und am
Gewand des Jünglings (II. Reihe, 3. Bild) noch erkennen können. Im großen und
ganzen sehen wir nur noch die mit roter polusartiger Farbe klar und sicher vom
Künstler hingesetzte Vorzeichnung, die trotz des kleinen Formats der Bilder in
ihrer großzügigen Einfachheit Bewegungen und Ausdruck des Dargestellten für
damalige Zeit erstaunlich treffend gibt, z. B. auch die verzweifelt stehende
Geberde des wilden Nimrod mit den Teufeln der Jagdwut und Tyrannei (II. Reihe,
7. Bild); immer wieder kommt eine neue Erinnerung an das mit verschwenderischer
Ausdrucksfähigkeit Dargestellte. Und wie viel köstliche Naivität! Z. B. in den
ersten Bildern der Schöpfungsgeschichte! Das 4. Bild der I. Reihe zeigt die
Erschaffung des Firmaments. Gott scheidet das Flüssige vom Festen. Gott, ein
bartloser Jüngling in Mantel und Tunika, steht vor einem Gebilde in Form einer
8, die als welliges Band gezeichnet ist. Dieses wellige Band scheint das Wasser
darzustellen, vom Festen geschieden. Im oberen welligen Rund der 8 ist ein
sicher gezeichneter Kreis (vielleicht die Erde, von Luft umgeben), im unteren
Rund sehen wir Fische und Wassergetier. Dann IV. Reihe, 9. Bild, dem Bild neben
dem Tanz ums goldene Kalb, hier scheint der liebe Gott auf einer zackigen Wolke
in ein Taschentuch hineinweinend, über die Abgötterei der Juden.
Nach Prof. Klopffleisch (1860) umfassen die Bilder folgende Stoffe (siehe
hierzu auch die Tabelle):
I. Schöpfungsgeschichte:
1. Schöpfung der Engel und der Welt. (Reihe I, Bild 1-5.)
2. Fall und Bestrafung der Engel. (R.I, B. 6.)
3. Schöpfung des ersten Menschenpaares. (R. I., B. 7.)
4. Einsetzung des Feiertages.
5. Fall und Bestrafung der ersten Menschen. (I. 10-13)
6. Die sündigen Menschen. (Seitenwand, nicht mehr sichtbar.)
7. Sündflut, Vertilgung der sündigen Menschheit. (Seitenwand, nicht mehr
sichtbar.)
II. Geschichte Noahs.
1. Errettung des gerechten Noah. (II., 1-3.)
2. Noah trinkt den Wein. (II., 4.)
3. Versündigung Hams. (der seinen trunkenen Vater verspottet). (II., 5.)
4. Ham und sein Geschlecht wird verflucht. (II., 6-7.)
a) Hams Verstoßung. (II., 6)
b) Nimrod (aus seinem Geschlecht) verdammt. (II., 7.)
5. Einsetzung der Todesstrafe. (II., 8.)
III. Geschichte Abrahams (und Lots).
1. Bund Gottes mit Abraham. (II., 9.)
2. Abraham besiegt die 4 Könige. (II., 10-12.)
3. Melchisedek opfert Brot und Wein und segnet Abraham. (II., 13.)
4. Abraham speist 3 Engel, die ihm Isaak verheißen. (III., 1.)
5. Lots doppelte Errettung (um Abrahams Willen). (III., 2., 3., 5.)
6. Sodoms Untergang. (III., 4.)
7. Lot von seinen Töchtern trunken gemacht. (III., 6.)
8. Abrahams Versuchung.
a) Versuchung durch das Gebot des Engels. (III., 7.)
b) Isaak trägt selbst das Holz zu seinem Opfer. (III., 8.)
c) Isaaks Opfer. (III., 9.)
9. Verheißung des Messias. (III., 12.)
Anhang: Heimkehr der Opfer. (III., 13.)
10. Tod Sahras. (III., 13.)
11. Rebekkas Geschichte
a) Werbung. (IV., 1.)
b) Brautfahrt. (IV., 2.)
als Erfüllung der Wünsche Abrahams aufzufassen
12. Abrahams Tod. (Der natürliche sanfte Tod des Gerechten. (IV., 3.)
IV. Geschichte der Juden.
1. Untergang der Egypter im roten Meer. (IV., 4.)
2. Errettung der Juden. (IV., 5.)
3. Caleb und Josua mit der Traube. (IV., 6.)
4. Wachteln und Manna. (IV., 7.)
5. Abgötterei des goldenen Kalbes. (IV., 8.)
6. Die Strafe dafür. (IV. 9.)
V. Geschichte Davids.
1. David wird zum Könige gesalbt. (IV., 10.)
2. David den Goliath besiegend. (IV., 11.)
VI. Moses als Repräsentant des alten und neuen Bundes.
1. Moses vom Berge Sinai kommend. (IV., 12.)
2. Moses im feurigen Busche (IV., 13.)
VII. Geschichte Mariä.
1. Verkündigung Joachims. (V., 1.)
2. Begegnung Joachims und Annas (Eltern Marias) an der goldenen Pforte. (V., 2.)
3. Geburt Maria. (V., 3.)
4. Maria als 3jähriges Kind im Tempel die 12 Stufen ersteigend. (V., 4.)
5. Verlobung Joseph und Marias. (V., 5.)
VIII. Geschichte Christi als die Geschichte der Erlösung
Leider sind die hierher gehörenden Bilder nicht mehr erhalten, die Spuren und
Reste deuten auf die Hauptmomente der Geschichte Christus hin.
Die Fresken sind am besten erkennbar, wenn die Sonne das gegenüberliegende Haus
beleuchtet.
Der Reflex läßt die noch bestehenden schönen Zeichnungen voll zur Geltung
kommen, während bei trübem Wetter das Entziffern mühsam ist.
Jeder Staat, der noch solche wertvolle Reste früher Kunst besitzt, hätte
eigentlich die Pflicht, sie durch Pflege Sachkundiger vor gänzlichem Verfall zu
schützen.
Wie lange wird es sonst dauern, so geschieht das, was den Schreiber dieser
Zeilen ein Bürger Lichtenhains auf die kundgegebene Entrüstung über die
Verwahrlosung der Umgebung der Fresken antwortete: Ach das alte Zeug, das wird
demnächst übertüncht!!!
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